Statement Catherine David anläßlich der Pressekonferenz "Theaterskizzen" am 15. Mai 1997 in Berlin:

Die documenta X soll die Heterogenität und widersprüchlichen Beziehungen zeitgenössischer kultureller Praktiken darstellen und die Kunst über die Kunstwelt hinausführen. Wir erleben die Krise der Museen, die die Krise des white cube als Ausstellungsform widerspiegelt, können doch viele künstlerische Arbeiten in diesem Kontext nicht mehr gezeigt werden. Diese Auflösung der traditionellen Ausstellungsform ließ es umso sinnvoller erscheinen, auf der documenta X möglichst viele Foren zu schaffen, in denen man sich informieren kann, was die Kultur unserer Zeit ausmacht. Eines dieser Foren sind die Theaterskizzen.

Wie ich schon im Februar bei der Präsentation des dX-Filmprogramms hier in Berlin betont habe, kann es uns nicht um Vollständigkeit, um den großen Überblick gehen: die documenta X ist kein Film- und auch kein Theaterfestival. Wir wollen Einblicke ermöglichen und kurze, aber prägnante und präzise Statements abgeben. Genauso verhält es sich mit den Theaterskizzen. Es geht nicht darum, Festspiele zu organisieren, wenngleich ich mich natürlich sehr freue, daß wir unser Projekt im Rahmen eines großen Festivals, des Berliner "Theatertreffen", der Presse vorstellen dürfen.

Bei den Theaterskizzen liegt die Betonung auf den "Skizzen". Wir möchten nicht mehr, aber auch nicht weniger als mit vergleichsweise minimalen Mitteln die zeitgenössische dramatische Situation beschreiben, das heißt Texte, Musik, Choreographie - also Theater.

Die Theaterskizzen schaffen einen Raum für die Definition des Standortes des Avantgarde-Theaters zur Jahrtausendwende. Wir können natürlich nicht das Theater des nächsten Jahrtausends voraussagen, aber wir schaffen einen neuen Arbeitskontext, der den Veränderungen der künstlerischen Praktiken entspricht. Wie in der Ausstellung interessiert uns nicht die Frage: 'Was gibt es Neues?', sondern wie Avantgarde-Theater heute überhaupt beschrieben werden kann. Welche neuen Formen nimmt es an? Wie sieht die Rolle des Regisseurs aus? Was sind die Möglichkeiten, Bedingungen und Grenzen der dramatischen Situation heute?

Der Theatermarathon in Kassel will auch die Herausforderung annehmen, die von der Krise des Theaters ausgeht, die im allgemeinen auf die schnelle und flüchtige visuelle "Kultur" der Unterhaltungsindustrie zurückgeführt wird. Dem "Hier und Jetzt" der Ausstellung vergleichbar vermitteln die Theaterskizzen das unmittelbare Erlebnis des Zuschauers vor dem Theater.

(Es gilt das gesprochene Wort.)

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